Instagram & Co

5. November 2019 | Von | Kategorie: Rezensionen

Rezension von …………………….. Hermine Touschek

Johann Nestroys Posse „Talisman“ wurde 1840 in Wien uraufgeführt. Hand aufs Herz – schon etwas angestaubt für Jugendliche des Jahres 2019, oder? Weit gefehlt – ein paar Jugendliche der Theatergruppe Kirchschlag haben es sich anlässlich einer „Schreibwerkstatt“ zur Aufgabe gemacht, den Talisman ins Jetzt zu beamen – wo er natürlich „online“ ist. Begleitet in der Entstehung – und umgesetzt in Regie und Gesamtleitung wurde dieses ambitionierte Projekt von Sigrid Prammer mit Co-Regie von Florian Hartl.

Wie reagieren Menschen auf einen Looser, einen Außenseiter mit roten Haaren, der vor seinem bekannten Umfeld flieht und sich in die weite Welt aufmacht?  

Als Titus (Paul Dressler) in seine Heimatgemeinde zurückkommt merkt er schnell, dass sich an der Einstellung der Menschen nichts geändert hat. Einzig Salome (Leonie Prammer), die auch rothaarig und eine Außenseiterin ist, nimmt ihn so, wie er ist.

Die In-Clique rund um Frau Cypressenburg (Melanie Reisenberger) ist ständig damit beschäftigt, die Follower bei Laune zu halten. Als Titus das Interesse der Community gewinnt, Model und Influencer wird, sind die Damen nicht mehr zu halten und die Leute im Internet finden ihn cool und interessant. Mit einer schwarzen Perücke überdeckt er seine roten Haare und auch sein altes Ego. Der Marquis (Jonas Eckmann), ein angesagter DJ in der Szene, hat ihm leichtsinnigerweise einen Instagram Account eingerichtet. Als Constancia (Clara Prammer), seine Geliebte aber Gefallen an Titus findet, ist für den Marquis Schluss mit lustig. Jonas Eckmann ist ein narzisstischer, eingebildeter Exzentriker – genau richtig überzeichnet dargestellt – und erinnert etwas an Harald Glööckler. Clara Prammer als Constancia liebt nur sich selbst und ihren Style.

Hanna Kitzmüller als Flora bemüht sich sichtlich angestrengt, ihre Chefin Frau Cypressenburg von ihren Qualitäten zu überzeugen. Plutzerkern (Clemens Prammer) wäre zwar sehr interessiert – in ihren Augen ist er aber nur ein Nichts. Melanie Reisenberger ist ein schillerndes It-Girl, berechnend und umschwärmt – und weiß genau, wie man von der Social-Media-Community die meiste Zustimmung erhält. Ihre Tochter Emma (Viktoria Reiter) hat das Handwerk von ihrer Mutter gelernt und mit Jugend, Schönheit und Sexappeal zur Perfektion gebracht.

Überzeugt Paul Dressler als Titus das Publikum noch anfangs, dass er „anders“ ist und nicht manipulierbar, so lässt er sich ebenso überzeugend in den scheinbaren Glanz der oberflächlichen Medien-Welt hineinziehen. Salome (Leonie Prammer) bleibt sich selbst treu und nimmt in Kauf, eben deshalb nicht dazuzugehören. Ernüchternd muss sie feststellen, dass Titus demnach auch nicht an ihr interessiert ist.

Als dann noch Titus Erbonkel Spund (Martin Reisenberger) auftaucht, zerplatzt die Seifenblase und ohne die schwarze Perücke ist Titus einmal mehr der unerwünschte Außenseiter. Er besinnt sich wieder auf sich selbst und erkennt den großen Wert von Salomes Zuneigung.

Ein großes Danke an die engagierten Jugendlichen, die uns ein Stück in ihre Welt mitnehmen und ein wenig an dem teilhaben lassen, was sie heutzutage beschäftigt. Was zählt heute für Jugendliche? Wie bekommen Sie Anerkennung und soziale Zugehörigkeit?

Eine sehr empfehlenswerte Produktion auch für alle Eltern und Großeltern, die den unbekannten Worten, denen sie oft begegnen, nicht völlig unwissend gegenüberstehen möchten.

Noch zu sehen am:

9. Nov. um 20 Uhr

10. Nov. um  18 Uhr

15. Nov. um 20 Uhr

17. Nov. um 18 Uhr

22. und 23. Nov. Jeweils um 20 Uhr

https://www.kirchschlag.net/info/kultur/theaterkirchschlag

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