Zwischen Zynismus und seelischer Bedürftigkeit

16. Januar 2023 | Von | Kategorie: Rezensionen

Rezension von ……….. Hermine Touschek (Fotos: Kellerbühne Puchheim)

Drei Jahre musste die Kellerbühne Puchheim warten, bis sie endlich „Der Zerrissene“ nach Johann Nestroy auf die Bühne bringen konnte. Corona hat auch hier den Vorhang lange NICHT aufgehen lassen. Für die Regie verantwortlich zeichnet Joachim Rathke.

„Der Zerrissene“ – eine Posse mit Gesang in drei Akten, wurde 1844 in Wien uraufgeführt. Nestroy selbst spielte darin die Hauptrolle des Lips.

Herr von Lips (Wolfgang Peer) ist ein selbstverliebter, gelangweilter Kapitalist. Er führt ein sinnentleertes Leben und all seine Wünsche sind in Erfüllung gegangen …. wäre da nicht die Sehnsucht nach einem anderen Leben und die Sehnsucht nach Liebe. Aus einer plötzlichen Laune heraus, eröffnet er seinen (vermeintlichen) drei Freunden, Stifler (Markus Schwecherl), Frau Sporner (Sabine Prötsch) und Beißer (Hans Auer), dass er etwas Verrücktes tun möchte: er will die erstbeste Frau, die bei der Tür hereinkommt, heiraten. Der ehemalige Verlobte seiner Auserwählten Madame Schleyer (Ilse Seufer-Wasserthal), der Schlosser Gluthammer (Uwe Marschner), kommt ihm hier in die Quere. Er denkt, dass seine Verlobte von Lips entführt wurde.  In Wahrheit hat sie ihn heimlich verlassen. Wutentbrannt rangeln Lips und Gluthammer und stürzen gemeinsam vom Balkon hinab ins Wasser. Beide glauben der Mörder des jeweils anderen zu sein. Lips, der überlebt hat, flüchtet sich zum Hof des Pächters Krautkopf (Wolfgang Praschesaits), um sich vor der Justiz zu verstecken. Er will zur Tarnung als Knecht in dessen Dienst treten, was Krautkopf nur ungern zulässt. Aber auch Gluthammer ist nicht ertrunken, hält sich seinerseits für den Mörder von Lips und flüchtet sich ebenfalls zu Krautkopf.

Wolfgang Peer gibt einen zynischen, eingebildeten Dandy, den wir wunderbar heutig als gelangweilten Depressiven in der Wohlstandskrise wahrnehmen können. In seiner Selbstverliebtheit erkennt er auch nicht, dass seine Freunde nur aufgrund ihrer moralischen Fehlhaltung mit ihm verkehren. In dem gesungenen Monolog bringt er Beispiele seiner Gemütsbewegungen zwischen denen er schwankt und die ihn zu einem Zerrissenen machen. Wir erleben seine geistig-seelische Entwicklung in der Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Umwelt. Erst durch die uneigennützige, ehrliche Liebe von Kathi wird ihm klar, wonach er die ganze Zeit gesucht hat.
Ilse Seufer-Wasserthal als tussige Madame Schleyer kommt bezeichnend klischeehaft im Leopardenlook mit Pink. Sie versprüht einen berechnenden und doch sympathischen Charme. Ihr vergönnen Nestroy und der Regisseur keine Bekehrung zum Besseren.
Eine Paraderolle für einen Komödianten ist die Rolle des Schlossers Gluthammer, die hervorragend von Uwe Marschner gespielt wird. Er hadert mit seinem Schicksal, seit ihm seine Verlobte abhanden gekommen ist. Ein bemitleidenswert Tobender, dessen groteske Züge Uwe Marschner durch die Kunst des Tragi-Komischen zur Freude des Publikums voll auskostet.
Anna Praschesaits verkörpert eine herzensgute, couragierte Kathi. Sie hat das notwendige Urteilsvermögen, vor dem die Gier und Verlogenheit der handelnden Personen in aller Deutlichkeit zutage treten. Man wünscht ihr von Herzen, dass all ihre Wünsche in Erfüllung gehen mögen.
Der rumänischen Erntehelferin auf dem Biobauernhof, köstlich gespielt von Samuel Raser, gibt der Regisseur die aufgrund ihrer Tätigkeit missachtete Bildung mit. Sie erläutert mit viel Witz dem Publikum die richtige Bedeutung lateinischer Begriffe in der Szene mit der Juristin.

Nestroys Stücke konfrontieren den Zuschauer mit seinen eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten …. appellieren aber immer an seine selbständige Denkkraft. Die Abgründe des Menschen sind zeitlos, wie der Sprachwitz von Nestroy. Joachim Rathke verpasste dem Nestroy sozusagen ein „Update“, strich das, was das Stück nicht unbedingt braucht und versah es mit einem großartigen Drive. Pointen mit Bezug auf das Heute sind wunderbar gewählt. Äußerst komisch die Rangelei zwischen Lips und Gluthammer, die in Form eines Tangos stattfindet. Zum Zerkugeln auch die Szene, in der Lips und Gluthammer einander als vermeintlich Tote entdecken – Laurel-und-Hardy-würdig. Eine respektable Leistung des spielfreudigen Ensembles. Moderner Nestroy auf höchstem Niveau – mit dem nötigen Respekt, den sich der Autor verdient hat.

Gönnen Sie sich einen höchst vergnüglichen Theaterabend.

Noch zu sehen: Termine und Karten https://kbp.at/?post_type=stuecke&p=10465

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