Stell dir vor, es ist Festival, und keiner geht hin
16. Juni 2023 | Von Hermine Touschek | Kategorie: AllgemeinBericht von …………………………………..Bernhard Paumann
Da wurde vom 31. Mai bis 3. Juni in Kremsmünster das 4. Internationale Jugendtheaterfestival mit Gruppen aus der Schweiz, Slowakei und Tschechien sowie aus 6 Bundesländern mit viel Mühen bei der Gruppensuche (dank auch der Kontakte von Dagmar Höfferer) und Engagement durch den Dilettantenverein 1812 Kremsmünster (an der Spitze Günther Pakanecz, Manfred Neubauer, Renate Springer, Peter Schmid und Rudi Wessely und Team) und dem Amateurtheaterverband OÖ (Gerhard Koller, Maria Steiner, Hermine Touschek, Violetta Griendl, Gerhard Wipplinger und Bernhard Paumann) auf die Bühne gebracht, und eine einzige Klasse aus Wels und wenige erwachsene Besucher haben überragendes Theater genießen können. Sogar die paar Schritte vom Gymnasium zum Theatersaal schienen unüberwindlich. Theatergruppen jammern um Nachwuchs, doch kein junger Mensch hat sich den „Mühen“ eines Theaterbesuchs unterzogen. Woran mag das liegen? Um Antworten wird gebeten.
Und dabei begann das Festival wirklich fulminant mit dem Jugendtheater Turgi (CH) mit ihrer Eigenproduktion „Trapped – Gefangen“ (Regie: Katrin Janser Fors), in der Yannik, Alex und Mark mit großer Körperlichkeit und überzeugender Leidenschaft die Ängste von Jugendlichen aufarbeiteten.
Die zweite Eigenproduktion steuerten die Young Actors aus Korneuburg mit „Was wäre, wenn…“ (Regie: Isabella Kubicek) bei. Krankheitsbedingte Ausfälle wurden derartig gekonnt überspielt, dass ein rundes Ganzes sich zeigte, in dem Sascha sich entscheiden musste zwischen seiner Leidenschaft, dem Klavierspiel, und dem Erfolgsberuf eines Architekten. Die Charaktere waren klar herausgearbeitet, das Spiel glaubhaft, die Sprache charakteristisch.
Die Theatergruppe der BOGA3 nahm sich großer Literatur an, nämlich Goethes „Faust“ (Regie: Alfred Woda) und das in einer beeindruckenden und beispielgebenden Weise. Da gab es keinen Zitatenfriedhof, sondern ehrliches, engagiertes Spiel – passenderweise unterlegt mit Musik von Ennio Morricone. Besonders auffallend das mimische Spiel des weiblichen Mephisto. Ich denke, das hätte dem alten Geheimrat auch gefallen.
Weiter literarisch ging es mit Shakespeares Adaption von „Romeo und Julia“ „What would Juliet say“ durch das Theater Pesimyski aus Bratislava (SK) (Regie: Monika Martinčinčova Ruf). In einer Art Karussell behandeln die jungen Schauspielerinnen in ehrlichem, gekonntem Spiel jeweils als Julia und Amme die Fragen, die sich das verliebte Mädchen stellt, auch Fragen zu Sterben und Tod.
Die WPG Theaterwelten Dornbirn haben das bekannte Stück von Lutz Hübner „Frau Müller muss weg!“ (Regie: Markus Riedmann) eindrucksvoll und empathisch auf die Bühne gebracht. Die Geschichte vom Aufstand gegen eine Klassenlehrerin kehrt sich bald um in eine Abrechnung der Eltern untereinander. Die stereotypen Figuren wurden von den Jugendlichen wunderbar pointiert dargestellt. Aus der Konfrontation ergeben sich für den Zuschauer immer wieder neue Einsichten und Aha-Erlebnisse.
Tatort Theater Gmunden war noch bei jedem Festival vertreten. Diesmal mit „Der Menschenzoo“ (Autor und Regie: Rudi Neuböck). Die Menschen in ihrer Gier, Gewaltbereitschaft, Dummheit und Gewissenlosigkeit werden von „Reptiloiden“ (in Anlehnung an den Reptiloiden-Verschwörungsmythos) in Gehege gesperrt und als abschreckendes Beispiel vorgeführt. Die sog. „Bildungsexperten“ sind eine sehr gefährliche Spezies. Die Schulen sind eine Brutstätte der Ausbildung zur Verwaltung der Märkte. Hinein in das Hamsterrad und nicht nach dem Sinn fragen. In einem Gehege sehen wir die Nazis, deren Intelligenz so gering ist, dass sie außerhalb des Messbereichs liegt. Die Politiker in einer Demokratie brauchen einen Kommunikations-trainer. Die Menschen werden in Angst und Schrecken versetzt. SO gewinnt man Wahlen. Die einzelnen Szenen hätten vielleicht bei einer Straffung mehr Effizienz erzielen können.
Durch den Ausfall einer Gruppe konnte der Film „Die Vereinigung der beiden Korea“ (Buch Joel Pommerat) gezeigt werden, den der Regisseur Joachim Rathke mit je einer Gruppe aus jedem Bundesland erarbeitet hatte. Die zwanglos aneinandergereihten Szenen waren gut durchkomponiert, professionell gefilmt und stimmten nachdenklich.
Aus einem Sesselkreis heraus erspielte sich das Musische Gymnasium Salzburg (Regie: Bernadette Heidegger) in einer Explosion von Emotionen „Hamlet – Überschreibungen“. Aus der banalen Diskussion über die Maturareise entwickelt sich ein Horrorszenario von Befindlichkeiten, Antipathien, Voreingenommenheiten, das langsam in den Hamletstoff hineinwächst. Als Zuschauer unmittelbar im Geschehen zu sitzen machte betroffen und weckte Ängste. In so einem radikalen Umgang mit klassischen Stoffen liegt meiner Meinung nach eine Zukunft des Schul- und Jugendtheaters.
Eine frische, freche, heutige Interpretation von Nestroys „Freiheit in Krähwinkel“ brachte das BORg Lienz (Regie: Cornelia Zanon), das das musterhafte Modell beschränkter Kleinstädterei umlegt …. „Also, wie’s im Großen war, so haben wir’s hier im Kleinen g’habt…“. Wir kennen alle so einen Ort. Besonders beeindruckend war der junge Schauspieler, der den Redakteur der Zeitung spielte – in der Darstellung des Charakters und der gesanglichen Leistung. Würde mich nicht wundern, wenn wir in Zukunft noch einiges von ihm hören und sehen. Schlussendlich stellte sich heraus, dass am ursprünglichen Text nichts geändert wurde, auch das ist eine Kunst, es so heutig aussehen zu lassen.
Fulminant, wie das Festival begonnen hatte, wurde es auch beendet mit VIP Prag (CZ) mit ihrer Interpretation von Salingers „Der Fänger im Roggen“ „We three and Holden“ (Regie: Radka Svobodova). eine intensive, ausdrucksstarke Performance der tschechischen Gruppe über den psychologischen Aspekt des Heranwachsens und Erwachsenwerdens. Holden hat eine immense Abscheu gegen die Verlogenheit der Erwachsenen. Er hat grosse Probleme, mit seinem Leben zurecht zu kommen. Er verurteilt die grundsätzlichen Werte der Gesellschaft und kann sich daher nicht in diese integrieren. Die einzigen Personen, mit denen er sich vernünftig und konstruktiv unterhalten kann, sind seine Schwester und eine ehemalige Freundin.
Wie man sieht: ein hoch literarisches Programm, beeindruckende schauspielerische Leistungen, interessante Interpretationen, Erproben neuer Theaterformen, profunde Gespräche in den Spielleiter*innengesprächen mit Armin Staffler, Gedankenaustausch und gemeinsames Erleben der Jugendlichen.
UND DAS INTERESSIERT NIEMANDEN?????
SAGE MIR NIEMAND; ER HÄTTE DAVON NICHTS GEWUSST.