Entstaubtes Biedermeier

21. März 2019 | Von | Kategorie: Rezensionen

Rezension von ……………………………. Bernhard Paumann

Wohin sind sie entschwunden: die idyllische Alpenkulisse mit der innewohnenden Geisterwelt, die arme Köhlerfamilie mit dem wehmütigen Lied „So leb denn wohl, du stilles Haus“, die väterlich gütige Strenge des Alpenkönigs, das Wüten Rappelkopfs gegen sich selbst wie einstens Timon von Athen, die zauberhaften Couplets, die wahrhaft vulkanischen Wutausbrüche des Haustyrannen? Entsorgt!!

Und zwar genial entsorgt durch Doris Happel, die mit bewundernswerter Konsequenz Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind“ mit den Greiner Dilettanten auf die Bühne der Kammerspiele in Linz (und natürlich vorher im Stadttheater Grein) brachte. Bewundernswert die Radikalität im Umgang mit dem Text, bewundernswert die Verlegung des Geschehens aus dem Biedermeier in die 1960er Jahre, bewundernswert der sehr lockere Umgang mit der Musikauswahl (Stones, Doors, Celentano, Peter Alexander… waren meine Jugend) und letztlich bewundernswert die Führung der Protagonisten.

Melanie Schuhbauer als Astragalus verkörpert intensiv einen coolen Machertyp mit den hippiemäßigen Adlati Janis (Brigitte Maschl-Leitner) und Lou (Alfons Puchner), H.P. Baumfried stellt souverän einen Hypochonder auf die Bühne, wenngleich das Pressing in der Stimme ein bisschen stört, Gabriele Huber-Lichtblau ist in jeder Phase die leidende und liebende Frau, das Liebespaar Angelika (Andrea Lechner) und August (Paul Haiml) setzt gekonnt spielerische Akzente, Christian Hochgatterer als Habakuk bringt mit seinem Standardsatz „Ich war drei Jahre in Paris“ komödiantischen Schwung. Trotz der radikalen Modernität bleiben noch Räume für Empathie, lockeres Spiel und Charakterzeichnung.

Ach, wie vielen Regisseuren/Regisseurinnen würde ich nur ein Quäntchen dieser Radikalität im Umgang mit dem Text, mit dem Mut zum entscheidenden Textschnitt, mit dem tiefen Hineingehen in einen Text anstelle der kritiklosen Übernahme der Vorlage wünschen!

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